Gastbeiträge
Das Buch über chronisch kranke Menschen
Ein gesundheitssystemkritischer Beitrag von Ilka Baral. Dieser Text war für den DocCheck Meddy Award 2019 nominiert. Wir danken der Autorin für die Genehmigung, ihn an dieser Stelle zu veröffentlichen.
Beim Hausarzt. Werben für den Ü-Schein. Die Verdachtsdiagnose kennt er nicht, ich hab' mich eingelesen. Gut sortierte Symptomliste, Argumente strategisch parat. Vorbereitung ist alles.
Der nächste Facharzt. Unschuldige Hintergrundgeschichte von der Bekannten, die „das“ auch hat, scheinheilig schlaue Fragen gestellt, möglichst keine Fachwörter, sich von oben herab behandeln und trotzdem untersuchen lassen.
Er hört gar nicht zu, checkt nur seine Organe. – „Da ist nichts.“ – Okay. – Beim Verabschieden der Blick: Wieder so eine, reiner Kostenfaktor, alles psychisch. – Ich nehme das hin. Wegen Widerrede aus der Praxis zu fliegen, riskiert man nur ein Mal. Ich bin chronisch krank. Man lernt, wie man durchkommt. Patientenversteher sind selten.
Monate später, brav vorselektiert und Dr.-Google-erfahren, beim richtigen sitzend: „Eindeutig, Ausschlussdiagnose.“ – Danke, ich vermutete es. – „Hätte jeder Kollege erkennen können.“ – Verzeihung, den anderen fehlte die Zeit.
Derweil in Ärzte-Foren: Sich gegenseitig diffamierende Ärzte, Identitätsgerangel qua Arzt versus Mediziner, Klagen über Regresse und vom GOÄ-Verfall bedrohte Praxen. Die einen kopflos verloren im Kittelgefecht, frustriert die Kranken verteufelnd, verbittert ob der entgangenen Göttlichkeit. Die anderen aufrecht kämpfend um hippokratische Ethik und ärztliche Kunst, doch scheiternd am hürdenreichen System.
Das System: gegeißelt von gesetzlich gebotener Wirtschaftlichkeit, nicht um Nachhaltigkeit bemüht, allzu oft inkompetente Auswüchse produzierend und nicht selten das Absurde dem Sinnvollen vorziehend. Paragraph zwölf, fünftes Buch, SGB. Mit am Set: Industriemächte, Preisdiktatoren, Reformpolitik.
Heillos entzweit mittendrin: Arzt und Patient. Der eine versteht des anderen Streben nicht. Sind wir historisch gewachsene Gegner? Oder allesamt systemische Opfer? Quo vadis, ars medicina? War das alles so gedacht?
Die Autorin dieses Beitrags, Ilka Baral, ist selbst mehrfach chronisch krank, u. a. leidet sie an zwei seltenen Erkrankungen. Ilka Baral arbeitet derzeit an einem umfangreichen Buch über die Belastungen von chronischer Krankheit jenseits rein medizinischer Aspekte. Im Rahmen der Bucharbeit findet eine anonyme Online-Befragung von Betroffenen statt, an der noch bis Mitte Juni 2021 teilgenommen werden kann!