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Gastbeiträge

Administrator (jjsa) on 30.6.2020

Zittern

Daniel, 30.06.2020


Ich bin Daniel, 19 Jahre alt und leide seit 2008 an einem Tremor. Eine genaue Ursache konnte nie gefunden werden, weshalb bisher die Vermutung aller Ärzte war, dass er toxisch bedingt entstanden ist. Zu dieser Vermutung kommen sie, da meine "Mutter" mir zwischen 4 und 7 Jahren ziemlich überdosiert Ritalin gab. Dieses war von keinem Arzt verordnet oder verschrieben gewesen, es gab keinerlei ärztliche oder psychologische Überwachungen, da sie das Ritalin damals von der Straße geholt hatte, um mich ruhig zu stellen für ihre Partys.


Aufgrund dessen ist das eben der Verdacht der Ärzte. Aber bis heute, 12 Jahre später, steht immer noch "fraglich toxischer Genese" in den Berichten und Überweisungen. Mit dem ersten Arztbesuch damals begann ein langer Weg durch viele verschiedene Praxen und Krankenhäuser. Es war von Anfang an kein leichter Weg, da diese Diagnose meistens im höheren Alter (5% der über 65-jährigen in Deutschland sind erkrankt) gestellt wird. Hinzufügen muss ich noch, dass es hier um einen essentiellen Tremor geht (Stand letzter Diagnostik).


Dementsprechend hieß es zuerst oft, dass ich nicht ausgelastet wäre, ein Kind bin das viel Bewegung braucht. Mit den Jahren sagten sie dann auch mal es sei psychosomatisch bedingt. Also hat es lange gedauert, bis ich trotz meines jungen Alters mal ernst genommen wurde. Für mich war es damals ein Licht am Ende des Tunnels, wenn ich auf die vorhergehenden Jahre zurückblicke. Leicht gemacht wurden mir die Jahre allerdings nicht. Das Zittern wurde natürlich immer stärker und begann neben den Händen auch in den Armen und teilweise in den Beinen. Keines der Medikamente die helfen sollten hat angeschlagen und teilweise hatte ich zusätzlich noch mit derben Nebenwirkungen zu kämpfen.
Ich kam 2017 dann zum letzten Medikament das es gab, Dociton mit dem Wirkstoff Propranololhdyrochlorid, ein Betablocker der den Blutdruck auch senkt. Dementsprechend konnte ich es bis 60 mg probieren, bei mehr ging mein Blutdruck zu weit nach unten. Aber auch diese 60 mg zeigten nicht ihre Wirkung. Derzeit bin ich wieder auf 10 mg runterdosiert.


Viele Dinge wurden durch den Tremor natürlich schwerer und mittlerweile bin ich bei einigen Dingen auf Hilfe angewiesen, wie beispielsweise beim Ausfüllen kleiner Felder bei irgendwelchen Anträgen etc., da meine Handschrift sich verschlechtert hat. Ohne Strohhalm trinken geht nicht mehr und wenn ich unterwegs bin brauche ich Hilfe, wenn es beispielsweise irgendwo ein Glas Wasser gibt oder ähnliches, da ich dieses nicht mehr transportieren kann. Beim Rasieren habe ich das Handy immer neben mir, um meinen Nachbarn anzurufen falls was passiert, da ich den Rasierer nicht mehr steuern kann und mehrmals kurz vorm Auge war.


Immer wieder hatte ich den Gedanken im Kopf aufzugeben, weil alles nichts half und ich einfach keine Lust mehr hatte. Aber aufgeben? Nein! Insgeheim kam es nie in Frage für mich. Es waren dann schwache Tage, an denen ich gelernt habe, dass Menschen mit chronischen Krankheiten auch mal schwach sein dürfen. Auch Ihnen darf es mal scheiße gehen und sie müssen sich nicht glücklich stellen oder Ähnliches. Jeder Mensch hat das Recht darauf, dass es auch mal schlecht gehen darf. Und Schwäche zu zeigen zeugt von Stärke, nicht wahr? Das war eine sehr wichtige Eigenschaft und ein super Gedanke der mich oft nach vorne gebracht hat in schwierigen Zeiten.
Es waren unzählige Dinge die ich zu hören bekam. Wenn ich hier alles aufzählen würde, was man von Menschen alles zu hören bekommt, weil man stark zittert…..Das meiste allerdings sind Sachen wie "Alki", "Junkie", "gibt dem Abhängigen mal ein Bier" oder auch beim Babysitten "unverantwortlich einem Junkie ein Kind anzuvertrauen, man sollte das Jugendamt informieren".


Wie gesagt, ich könnte hier sehr, sehr viele solcher Aussagen schreiben. Dumme Sprüche gab es natürlich auch immer mal wieder in der Schule und meinem Empfinden nach auch Diskriminierung von Seiten der Lehrer, da ich in Geometrie beispielsweise schlecht benotet wurde, da die Linien so krumm wurden und nicht in die Aufgabe passten. Oder in Kunst, wo es laut meiner Lehrerin hieß, ich würde nur Kindergartenbilder malen. Beide Lehrer wussten über die Erkrankung Bescheid. 2018 war dann für mich mit eines der schlimmsten Erlebnisse, als sich im Restaurant Gäste beschwert haben über mein Zittern etc. beim Essen. Wie die Situation endete? Der Chef hat mich rausgeschmissen und mich aus dem Restaurant gebracht. Fast 2 Jahre lang habe ich aufgrund dieser Aktion nirgendwo mehr gegessen, so lange hat es gedauert bis ich mich endlich wieder traute.


Das alles waren Erlebnisse, die es mir immer schwer gemacht haben. Ich hätte mir wenigstens etwas Akzeptanz oder Toleranz gewünscht, leider gab es oft das Gegenteil. Ich habe immer wieder meine Geschwister als Motivator genutzt und habe mir gesagt, dass meine jüngste Schwester auch stolz wäre, wenn sie es von oben sieht. Und im Endeffekt war ich für all das auch dankbar, es hat mich stark gemacht und ich lernte mit der Erkrankung umzugehen und Hilfe anzunehmen wo ich sie eben brauche.
Ich habe dadurch auch tolle Menschen kennengelernt, die mich so genommen haben wie ich bin. Ein sehr wichtiger Schritt für mich war, die Erkrankung mit Humor zu nehmen und über mich selbst lachen zu können, das ist dann immer ein sehr guter Ausgleich zu all den Sprüchen und Blicken die immer wieder kommen. Ich bereue kein Jahr davon, es hat mich zu dem Menschen gemacht der ich heute bin.
Aber was ist an ein bisschen Zittern, denn so schlimm fragt sich vielleicht der eine oder andere? Eine Sache die selbstverständlich da ist, sind eben die großen Probleme im Haushalt. Ständig geht was kaputt, weil es Dir runterfällt oder du triffst beim Schneiden für das Essen den Finger, weil die Hand auf einmal da ist wo eben noch die Gurke war.


Als nächstes Problem kommt da die berufliche Zukunft. Seinen Traumberuf mit zittrigen Händen zu machen? Bei weitem nicht immer möglich!!!! Ich persönlich würde gerne die Ausbildung zum tiermedizinischen Fachangestellten machen und danach selber Tierarzt werden. So mit der Erkrankung? Unmöglich!!!! Handwerksberufe wo du genau arbeiten musst? Bei der Stärke meines Tremors auch nicht mehr möglich. Architekt etc. …..braucht man nicht drüber reden, das fällt sowieso weg. Sehr viele Berufe sind für mich derzeit nicht möglich und ich wünsche mir eine Ausbildung die mir auch Spaß macht und da bleibe ich weiter dran ;)


Das nächste Problem dabei sind Schmerzen. Den halben Tag tun die Arme weh wegen dem Zittern. Es zieht bis in den Schulter-, den Nacken- und den oberen Rückenbereich, wodurch es Tage gibt, an denen man sich gar nicht bewegen möchte.


Am 28.Mai 2020 hatte ich mal wieder einen Termin bei meiner Neurologin um mit ihr über die Möglichkeit der tiefen Hirnstimulation zu sprechen. Dies ist ein Eingriff bei dem in das Gehirn 2 Sensoren eingesetzt werden. Diese werden mit Elektroden verbunden und das andere Ende der Elektroden ist verbunden mit dem Neurostimulator, der je nach Patientenwunsch unter das Schlüsselbein oder unter dem Rippenbogen eingesetzt wird. Dieser schickt dann Impulse aus in das Gehirn, die die Bewegungsstörung deutlich lindern. Ganz verschwinden wird das Zittern nie, aber es kann dadurch deutlich gelindert werden.


Ich sollte zum DAT-Scan, um zu überprüfen ob es eine Parkinsonerkrankung ist Diese wurde nun ausgeschlossen und jetzt geht es im nächsten Schritt weiter in die Universitätsklinik. Dort werden wiederum Untersuchungen gemacht und dann wird entschieden, ob ich für die Operation zugelassen werde. Es ist natürlich ein schwerer Eingriff, aber ich bin jetzt nach 12 Jahren kurz vor einer Linderung. Wenn es weiterhin so laufen würde und ich wieder einen halbwegs normalen Alltag haben könnte...ohne Sprüche und Blicke, mit einer Wunschausbildung, ohne auf Hilfe angewiesen zu sein und wenn ich Dinge probieren könnte, die ich so leider nicht probieren kann, und vieles mehr noch...das wäre ein absoluter Traum für mich.


Was ich erlebt habe mit den Sprüchen und Blicken etc. ist bei weitem kein Einzelfall und ich hoffe, dass ich mit dem Text auch mehr Wissen und Akzeptanz verbreiten kann. Ich hoffe ich konnte euch einen kleinen Einblick in meine Geschichte geben und freue mich dabei helfen zu können die vorhandenen Probleme öffentlich zu machen.

 

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