Gastbeiträge
Dienstag 18. Januar 2018, 3.00 Uhr Nachts. Mein Wecker klingelt, es ist Zeit aufzustehen. Ich habe einen Termin bei meinem Rheumatologen in Düsseldorf, 600km weit entfernt von meinem Wohnort.
Also raus aus dem Bett, ab unter die Dusche und rein in die Klamotten. Schnell noch zwei Tassen Kaffee in der (leider unbegründeten!!!!) Hoffnung, dass sich der krankheitsbedingte „Nebel“ in meinem Kopf doch noch etwas lichtet. Danach noch kurz die Hunde „lüften“ und das Töchterchen per Erinnerungszettel nochmals instruieren was es hier zu tun gilt, um die Stellung zu halten.
Dann geht es los, zunächst ca. 1 ½ Stunden mit dem Auto bis nach Ulm. Von dort aus geht unser Zug (mein Mann begleitet mich) in Richtung Düsseldorf.
Unterwegs beginnt es leicht zu schneien, aber kein Problem. Mein Mann lässt mich unterwegs noch etwas schlafen, was bei ohnehin schon dauerhafter Übermüdung („Fatigue“ wie die Fachärzte die chronische Erschöpfung bei Autoimmunerkrankungen nennen) ein wahrer Segen ist. Alles gut, wir kommen pünktlich, sicher und ohne Zwischenfälle in Ulm an.
In Ulm dann also schnell einen Parkplatz gesucht und in den Zug umgestiegen. Es liegen ca. 5 1/2 Stunden Bahnfahrt vor uns. Noch einmal umsteigen in Stuttgart, dann haben wir es zunächst geschafft und wir können uns vor dem bevorstehenden Termin noch etwas ausruhen.
Da sitz ich nun also im Zug Richtung Düsseldorf. Bis auf die so oft vorhandenen Bauchschmerzen, die mir das Sitzen etwas erschweren und dem besagten Nebel im Kopf, geht es mir ganz gut. Im Vergleich zum Vortag, an dem ich die notwendigen Unterlagen zusammen gesucht und mich auf das Gespräch mit meinem Arzt vorbereitet habe, fühle ich mich ruhig und entspannt. Ich bin, was die fachlichen Hintergründe anbelangt, gut informiert. Krankheitsverlauf und offene Fragen an meinen Rheumatologen habe ich mir säuberlich aufgeschrieben, um mir und meinem Arzt das Gespräch zu erleichtern. Alles Notwendige an Vorarbeit ist geleistet. Es gelingt mir ganz gut meine Ängste bezüglich dessen, dass meine gesundheitliche Situation abermals fehl eingeschätzt wird und ich ohne entsprechende Hilfe nach Hause fahre, auf die Seite zu legen, mich in die Ungewissheit der Situation hinein zu entspannen.
11.00 Uhr Ankunft in Köln. Eine Durchsage der Bahn unterbricht unsere Ruhe. Sturmtief Friederike ist im Anmarsch, der Zugverkehr wird auf unabsehbare Zeit eingestellt. Zwei Stunden bis zum langersehnten Termin auf den ich seit September warte. Schnell in der Praxis anrufen, die erwartete Verspätung ankündigen. Es wird uns mitgeteilt, dass wir bis 14.00 Uhr Zeit haben, dann schließt die Praxis.
Und nun? Ein kurzes Gespräch mit dem Schaffner, der uns darüber informiert, dass auch der öffentliche Nahverkehr bis auf unabsehbare Zeit vollständig lahmgelegt wurde. Ich bekomme Panik, was jetzt? Ich brauche diesen Termin. Dringend!!! Die Basistherapie muss angepasst werden, ich möchte keine Schmerzen und keine neurologischen Ausfälle mehr erleiden müssen, die derzeitige Cortison-Dosierung ist auf Dauer zu hoch, ich MUSS diesen Termin einhalten. Komme was da wolle!!!!!
Also kurzentschlossen raus aus dem Zug. Draußen tobt bereits das Sturmtief. Es ist mir außerordentlich unheimlich, wurde doch von offizieller Seite dazu angeraten geschlossene Räume möglichst nicht zu verlassen. Trotzdem, ich MUSS dorthin!!!!! Also, Augen zu und durch. Wir erwischen, dem Himmel sei Dank, ein Taxi und los geht es Richtung Düsseldorf. Meine Anspannung wächst, werden wir es zeitlich schaffen? Was wenn nicht? Eine Anpassung der Basismedikation ist ohne körperliche Untersuchung nicht möglich.
Die Fahrt gestaltet sich abenteuerlich. Der Wind hat bereits erheblich aufgefrischt, erste starke Böen haben bereits Schäden angerichtet. Wir sehen einen umgekippten Laster, Menschen halten sich zum Schutz gegen die Windstöße an Laternenmasten fest. Ich weiß nicht wovor ich mehr Angst habe. Vor dem Wind oder davor unverrichteter Dinge wieder nach Hause fahren zu müssen?! Egal, Zeit zum Nachdenken habe ich nicht.
In Düsseldorf angekommen bleiben wir im Verkehrschaos stecken. In der Zwischenzeit ist es kurz vor 13.30 Uhr meine Angst den Termin zu verpassen wächst. Wir entschließen uns den Rest des Weges zu Fuß zurück zu legen.
13.45 Uhr, wir haben es endlich geschafft. Vom Ankämpfen gegen den Wind körperlich völlig erledigt und psychisch gestresst stehe ich in nun also in der Praxis. Was wollte ich nochmals alles mit meinem Rheumatologen besprechen? Wie weggeblasen die gute und so sachliche Vorbereitung auf das Gespräch, ich lasse es einfach auf mich zukommen.
Die Praxismitarbeiterinnen begrüssen uns trotz Verspätung äußerst freundlich, ebenso mein Rheumatologe. Wir reden über den Sturm, die chaotische Anfahrt und ich spüre wie sich ganz allmählich meine Anspannung etwas löst.
Danach beginnt das Gespräch und die körperliche Untersuchung. Alles verläuft ganz ruhig und sehr entspannt, mein Rheumatologe hört sich alles aufmerksam an, schenkt meinen Ausführungen Glauben. Schnell steht für ihn fest, die Basistherapie muss angepasst werden. Wie groß meine Erleichterung an dieser Stelle ist, lässt sich mit Worten kaum beschreiben. So oft habe ich in den vergangenen Jahren nach monatelanger Wartezeit eine rheumatologische Praxis ohne jegliche Hilfe verlassen, dass ich mein Glück in diesem Moment kaum fassen kann.
Sicher, noch immer gibt es viele Unklarheiten im Krankheitsbild. LUPUS/SJÖGREN/VASKULITIS, ein Overlap-Syndrom mit vielen verschiedenen Aspekten. Weder leicht zu erfassen, noch leicht zu behandeln. Aber ich kann die Bemühungen spüren, die mein Arzt unternimmt um mir zu helfen. Das schafft Vertrauen und schenkt mir die Hoffnung darauf, dass die neue Basis-Therapie anschlagen wird.
„Nun müssen wir Sie nur noch heil nach Hause bekommen“ so die mit einem freundlichen Lächeln ausgesprochenen Worte meines Arztes bei der Verabschiedung.
Ja, angesichts der aktuellen Verkehrslage ein nicht ganz einfaches Unterfangen. Der Zugverkehr ist weiterhin bis zum nächsten Morgen komplett eingestellt, so dass wir einen Fernbus buchen müssen, um nach Hause zu gelangen. Um 23.00 Uhr können wir Düsseldorf dann endlich verlassen. Gegen 8.00 Uhr morgens erreichen wir, nach einer strapaziösen Busfahrt, endlich wieder unser Zuhause.
Ich bin müde, erschöpft aber unglaublich dankbar. Ich habe Hoffnung auf Verbesserung meiner Situation und einen Arzt gefunden, bei dem ich das Gefühl habe vertrauen zu dürfen. Hierfür fahre ich gerne einmal nach Düsseldorf und wieder zurück. Selbst dann, wenn gerade Sturmtief Friedericke über Deutschland hinweg fegt und man eigentlich das Haus nicht verlassen sollte.
EPILOG:
Weite Anfahrten zu spezialisierten Ärzten stellen für Patienten mit seltenen Krankheitsbildern keine Seltenheit dar. Ich hoffe es ist mir durch diesen Blog-Artikel gelungen Außenstehenden zumindest eine kleine Vorstellung davon zu vermitteln, welche Belastungen körperlicher, seelischer und nicht zuletzt auch finanzieller Natur mit solchen Anfahrtswegen für die betroffenen Patienten verbunden sein können.
Ich bin mir bewusst, dass sehr spezifisches Wissen auch immer nur bei sehr wenigen Ärzten zu finden sein wird, da es aus vielerlei Gründen nicht jedem Arzt möglich sein wird, sich tiefer in die nicht alltäglichen Krankheitsbilder einzuarbeiten. Eine Spezialisierung ist und wird deshalb unumgänglich bleiben und es erscheint mir illusorisch, dass für sehr seltene Krankheitsbilder in absehbarer Zeit eine Vielzahl von Spezialisten zu Verfügung stehen wird. Die Belastung eines langen Anfahrtsweges nehme ich persönlich für eine gute rheumatologische Versorgung somit gerne in Kauf.
Allerdings möchte ich an dieser Stelle anmerken, dass es viele Patienten neben mir gibt, die vermutlich aufgrund ihrer körperlichen Verfassung kaum mehr in der Lage sind, solche Wege zurück zu legen. Auch ich habe in den vergangenen Jahren viele solcher Wegstrecken in extrem schlechter gesundheitlicher Verfassung zurückgelegt und ohne die Unterstützung meines Mannes wäre mir die die Suche nach adäquater medizinischer Hilfe mit Sicherheit nicht möglich gewesen. Und blicke ich zurück, so kommt erschwerend hinzu, dass viele dieser Wege schlichtweg umsonst und weder von diagnostischem noch therapeutischen Nutzen gewesen sind.
An dieser Stelle krankt unser Gesundheitssystem aus meiner Sicht an einer mangelnden interdisziplinären Vernetzung, die es den Patienten im Vorfeld ermöglicht den „richtigen“ Arzt ausfindig zu machen, um sich auf diese Art unnötige Wege ersparen zu können. Eine Zusammenarbeit der einzelnen Disziplinen und Einrichtungen würde aus meiner Sicht nicht nur Ärzte und Patienten entlasten, sondern nicht zuletzt auch die Kassen, die für nicht erfolgsversprechende Arztbesuche schlussendlich aufzukommen haben.
Des Weiteren bestünde durch die Kooperation zwischen spezialisierten Fachärzten, Kliniken und niedergelassenen Ärzten die Möglichkeit auch sehr seltene und spezifische Krankheitsbilder heimatnah zu begleiten, so dass eine fachlich kompetente und ausreichende Versorgung auch für immobile Patienten gewährleistet werden könnte.
Welche Schritte hin zu einer solchen Kooperation könnten unternommen werden?Wo liegen die Schwierigekietn und was müsste verändert werden um eine bessere Versorgung von Patienten mit seltenen Krankheitsbildern zu erreichen?