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Jean-Jacques Sarton, 08.02.2018

Der Weg einer Patientin mit einer seltenen neurologischen Erkrankung

Jean-Jacques Sarton, 08.02.2018

Bei meiner Frau kam es schnell zu einer Diagnose, die Ärzte erkannten sofort um welche Krankheit es sich handelte. Die damaligen Symptome sprachen ganz und gar für Morbus Parkinson. Krankheitspezifische Symptome, die auf eine seltene Variante des Syndroms hinwiesen, waren nicht vorhanden.

Über 2 Jahre ging alles seinen Lauf. Besondere Probleme gab es, bis auf die immer größer werdende Müdigkeit, nicht. Diese Müdigkeit kann auch bei Morbus Parkinson auftreten, sie hätte auch eine Nebenwirkung der Medikamente sein können. Versuche der Situation Herr zu werden gab es. Leider führten die medikamentösen Änderungen, die vorgenommen wurden, nicht zum Erfolg oder nur zu sehr geringen Verbesserungen.

Irgendwann, ich weiß noch sehr genau wann, kam es zu einem ersten Sturz. Ein Ausrutschen beim Verlassen der Badewanne. Ab diesem Zeitpunkt kam es immer wieder zu Stürzen, diese erfolgten nach einem wohl definierten Schema. Von sporadischen Stürzen entwickelte sich das ganze schnell auf beinahe tägliche Stürze und schließlich auf, im Schnitt, 4 Stürze pro Tag.

Der Neurologe den wir alle 3 Monate besuchten reagierte beim ersten Termin nicht, beim zweiten empfahl er eine kleine Dosis L-DOPA einzunehmen. Dazu kam es jedoch nicht sofort, denn aufgrund eines Sturzes durfte meine Frau sich eines Krankenhaus Aufenthaltes „erfreuen“. Da urologische Probleme bereits vorhanden waren (nicht untypisch für die noch aktuelle Diagnose), wurde der Facharzt des Krankenhauses konsultiert. Danach wurde meine Frau in ein anderes Haus des Klinikverbundes verlegt, auf der Chirurgie musste sie eigentlich nicht bleiben, eine OP fand auch nicht statt.

In der neuen Klinik ereigneten sich aber einige Dinge die ein wenig ungeheuer waren. Die Zimmer- Nachbarin hätte sich nachts an der Medikamentenschachtel heran gemacht, so die Aussage meiner Frau. Tagsüber zupfte meine Frau auch an der Bettdecke. Ziemlich eigenartig! Dem Stationsarzt berichtete ich über die angeblichen Taten der Zimmernachbarin und fragte auch ob es sich um eine psychotische Angelegenheit handeln könne. Der Arzt schien es mit ein Lächeln zu bejahen, mehr geschah nicht.

Endlich kam der Tag der Entlassung: Hausarzt und Apotheke anrufen damit das vom Urologe verordnete Medikament weiterhin nach Vorschrift eingenommen werden kann. Dann durften wir endlich unser Kuschelbett besuchen. Die Nacht entsprach jedoch nicht unbedingt meiner Vorstellung, denn ein langer erholsamer Schlaf wurde es nicht.

Dafür erfuhr ich, dass wir im Schlafzimmer auch einen Kühlschrank haben, die Tür des Kühlschrankes war geöffnet, so die Aussage meiner Frau. Ich erklärte meiner Frau, dass wir uns nicht in der Küche aufhalten, sondern im Schlafzimmer. Sie antwortete: „ ja die Tür des Kühlschrankes ist geschlossen.“

Am nächsten Morgen habe ich im Internet den Beipackzettel des urologischen Medikaments gelesen. Ich staunte, ein Warnhinweis stand an prominenter Stelle. Ein Parkinson Mittel, das meine Frau nahm, verstärkte die Wirkung des urologisches Präparates, beide Mittel sollten nicht gleichzeitig eingenommen werden.

Ein Anruf beim Urologen endete natürlich mit der Bitte ,das neue Medikament abzusetzen. Ein zeitnaher Termin wurde auch vereinbart. Als wir die Praxis besuchten habe ich erfahren, dass meine Frau offenbar telepathische Fähigkeiten aufweist und dass ich angeblich in der Lage wäre kleine Zeitsprünge in die Vergangenheit zu bewerkstelligen. Schuld an der Misere wäre, laut Urologen, der Beipackzettel.

Wie kam es zu den Problemen? Zeitmangel seitens der Ärzte? Ich weiß es nicht. Dafür weiß ich, dass ein Termin bei einem Neurologen immer sehr kurz ist. Innerhalb von 7:30 Minuten müssen Patienten und Arzt alle wichtige Informationen ausgetauscht haben. Bei einem Urologen dürfte es auch nicht viel anders sein. Diese Zeit ist sehr kurz und es besteht immer die Gefahr etwas zu vergessen.

Ich habe es in der Zwischenzeit gelernt Arztbesuche vorzubereiten. Alles was relevant sein könnte muss auf ein Blatt niedergeschrieben werden. Fragen müssen auch festgehalten werden. Beim ersten Urologen Besuch war ich nicht dabei, es wurde konziliarisch vorgenommen. Eine Vorbereitung hat es nicht gegeben, es wäre auch nicht wirklich nötig gewesen. Die relevanten medizinischen Akten hätten vom Krankenhaus an den Facharzt übermittelt werden müssen. Es kam aber zu einer Panne.

Manchmal habe ich den Eindruck, dass Facharzt mit „Scheuklappen Arzt“ übersetzt werden könnte. So stimmt es natürlich nicht, aber manche Leiden müssen fachübergreifend angegangen werden.

Verordnungen der Kollegen müssen beachtet werden. Medikamente können wechselwirken. Wenn eine Parkinson Diagnose vorliegt müssen Fachärzte auch wissen was die Kollegen „angestellt“ haben. Sollte eine seltene Erkrankung vorliegen (es war hier nicht bekannt, man hätte es aber erahnen können) wird eine multi- interdisziplinäre Zusammenarbeit oft unerlässlich.

Einige Zeit später, auf der Recherche für den Grund der seltsamen Stürze meiner Geliebten, stoß ich auf eine Broschüre. Anhand der Beschreibung konnte ich meine Frau recht gut erkennen. Einige Details stimmten zwar nicht, aber es war eine recht gute Abbildung. Weitere Informationen über diese mir unbekannte Erkrankung stimmten mich nicht gerade fröhlich. Mein Wunsch wäre eine Untersuchung, die meine Befürchtungen widerlegt hätten, gewesen.

Wenige Monate danach erhielten wir eine Einweisung in eine neurologische Klinik. Dort sprach ich den Stationsarzt auf die Krankheit an. Er konnte mich beruhigen, die nicht vorhandene Symptome, so der Arzt, sprechen gegen meine Befürchtung. Als meine Frau entlassen wurde, stand in den Unterlagen der Verdacht auf diese seltene Erkrankung. Die Behandlung entsprach weiterhin einer Parkinson Behandlung.

Die ersten Nächte nach der Entlassung waren nicht gerade geruhsam, es kam wieder zu so genannten „lebendigen Träumen“. Dies wurde schnell in den Griff bekommen. Das eine Medikament, das dem Urologen die Suppe versalzen hatte, wurde schrittweise abgesetzt. Endlich herrschte Ruhe.

Eine Schlaflabor Untersuchung wurde vereinbart und die Mutter meiner Kinder verbrachte 2 Nächte in einem Zimmer. Sie war verkabelt und eine Videokamera lief. Die Ergebnisse waren nicht unbedingt zufrieden stellend. „Lebendige Träume“ waren weiterhin vorhanden, diese konnte ich nicht merken, ich habe ein guten Schlaf und meine Frau nahm offenbar Rücksicht auf mich in den sie sich leise verhielt. Als Ursache wurden die Medikamente vermutet und eine Neuvorstellung in der neurologischen Klinik wurde empfohlen.

Der zweite Aufenthalt endete mit der befürchteten Diagnose. Die Untersuchungen wurden auch im Hinblick auf die wahrscheinliche Erkrankung vorgenommen. Am Tag der Entlassung war ich nicht mehr in der Lage das Mittagessen in der Kantine des Krankenhauses einzunehmen. Ich war zwar auf die „frohe Botschaft“ vorbereitet, es war dennoch ein Schock.

Wie konnte der damalige Neurologe die seltene Erkrankung übersehen? Die Stürze die ich beobachtete waren als „red Flag“ in den entsprechenden Leitlinien aufgeführt. Beim Auftreten der Stürze muss unbedingt an die seltene Variante des Syndroms gedacht werden. Ärzte sind wahrscheinlich zu wenig auf seltene Erkrankungen vorbereitet. Die zeitlichen Zwänge, die Fähigkeit konstruktive Gespräch zu führen und zuzuhören spielt hier sicherlich eine Rolle.

Da ich als Partner der Patientin vieles sagte, wurde bestimmt vom Neurologen vieles überhört. Untersuchungen, die in Frankreich stattfanden, zeigen, dass die Wahrnehmung des Arztes abhängig von der Person ist. Der Patient, und das ist richtig, wird gut befragt. Kinder der Patienten bekommen auch Aufmerksamkeit, Ehepartner jedoch viel weniger. Solche Erkenntnisse scheinen noch nicht in Deutschland angekommen zu sein.

Die Sturzrate konnte nicht wirklich verringert werden, ein Rollstuhl wurde irgendwann fällig. Ein sogenannter Aktiv Rollstuhl wurde verordnet, die medizinische Begründung durch die Neurologin der Rehaklinik, die von meiner Frau besucht wurde, wurde ausgestellt.

Für eine Übernahme der Kosten durch die Krankenkasse bedurfte es eines Gutachten des MDK. Laut Gutachten wäre meine Frau (frei übersetzt) Tetraplegikerin, blind und gehirnamputiert. Nur eine andere Rollstuhlart (billigere) komme in Frage. Hier hatte der Gutachter offenbar etwas falsch verstanden. Die Werbung des MDK ist ihm offenbar auch entgangen. Bei solchen Hilfsmitteln wird der Anfragende zum MDK bestellt oder es kommt sogar zu einem Besuch des MDK. Man wolle schließlich, dass der Patient optimal versorgt wird. Wie immer artete der Vorgang zu einer langwierigen Angelegenheit aus. Einige Rollstühle (die der Empfehlung des MDK entsprachen) mussten geliefert und getestet werden. Schließlich wurde der MDK gebeten einen Besuch abzustatten (Schriftverkehr und Telefonate hatten bestimmt die Krankenkasse viel Geld gekostet). Endlich kam es dazu, ich kann mich gut daran erinnern. Der Beweis das die kognitiven Fähigkeiten meine Frau sehr schlecht sind gelang nicht, ebenso wenig konnte nachgewiesen werden, dass sie unzureichend sieht. Der letzte Kommentar der Ärztin war „es ist eine neurologische Erkrankung“. Wusste der MDK dies nicht von Anfang an?

Diese Geschichte ist nur symptomatisch für die Qualität der Gutachten die ich gelesen habe. Die anderen wiesen mehr Ungereimtheiten auf. Richtlinien falsch angewandt (anderer Sachverhalt) bis medizinisch unhaltbare Äußerungen. Der Mangel an Wissen der Ärzte des MDK ist, bei seltenen Erkrankungen, immens. Diesen Ärzten kann es nicht immer direkt angelastet werden.

Spezialisierte Zentren unter der Ägide des MDS sollten entstehen, leider sehe ich wenig davon. Spezialisten die sich mit allen Facetten einer seltenen Erkrankung auskennen darf man beim MDK nicht erwarten.

Auch bei übergeordneten Instanzen dürften es schwer sein ausreichend ausgebildete Ärzte zu bekommen. Bei der Unmenge an seltene Erkrankungen ist solch ein Vorhaben wie von NAMSE (Nationaler Aktionsplan für Menschen mit seltenen Erkrankungen) angestrebt schwer zu verwirklichen.

Die Gesetzgebung ist auch zu sehr auf übliche Krankheiten abgestimmt. Seltene Erkrankungen werden unzureichend beachtet und Regelungen, die eine angemessene Versorgung der Patienten erlauben würden, sind nicht vorhanden.

Die Politik ist hier gefragt. Das System in Deutschland weist Manko auf und sollte verbessert werden. NAMSE ist soweit ich es beurteilen kann, eine europäische Angelegenheit. Damit sollte etwas nicht nur in Deutschland oder anderen EU-Ländern sondern auch auf europäischer Ebene geschehen.

Die Ärzte müssen auch ihre Hausaufgaben erledigen, eher an seltene Erkrankung denken und sich ausreichend fachfremdes Wissen aneignen.

Schon für eine „alltägliche“ Krankheit die ich relativ gut kenne (Parkinson), müssen manche Patienten Ärzte aus verschiedenen Fachgebieten besuchen. Die Diagnose erfolgt irgendwann wenn ein Facharzt über den Tellerrand hinaus schaut. Für seltene Erkrankungen dürfte dies noch mehr zutreffen. Selten denkt der Facharzt des einen Gebietes an eine Erkrankung, welche die Domäne eines anderen Fachkollegen ist.

Jean Jaques Sarton

Leiter der Parkinson-Selbsthilfe (http://parkinson-shg-suedpfalz.de)

 

Lebendige Träume = Fachausdruck aus der Neurologie, die betroffenen Menschen reden und bewegen sich im Traum. Bemerkt wird das oft daran, dass der Bettnachbar blaue Flecken aufweist.

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