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Gastbeiträge

Administrator (jjsa) on 5.1.2024

Für meine Freundin, naturgefluester.blog

Für meine Freundin ....

Daniela, Dezemberl 2024,  https://naturgefluester.blog

„Was wäre, wenn Du all Deine Andersartigkeit und Deine Schwäche und Deine Unsicherheit offen zeigen würdest, ohne dabei Deine Selbstachtung in Frage zu stellen?

Die Welt wäre eine vollkommen andere…..

Wer hier bereits eine Weile lang mitliest, der weiß: Dieser Blog hier war ursprünglich dem Ziel gewidmet anderen Menschen einen Einblick zu gewähren, was es bedeutet mit einer chronischen, seltenen Erkrankung zu leben.

Im Jahre 2018 habe ich gemeinsam mit meinen Mitstreitern die Initiative „Waisen der Medizin“ ins Leben gerufen. Getragen war unser Engagement von der Hoffnung, es möge gelingen in der Öffentlichkeit ein Bewusstsein dafür zu erzielen, wie hart und beschwerlich der Weg bis zur Diagnose und bis zur adäquaten Behandlung einer Erkrankung sein kann, die völlig abseits des medizinischen Alltags liegt.

Seitdem wir unsere Initiative ins Leben gerufen haben, hat sich nicht viel verändert. Im Gegenteil, die Lage im Gesundheitswesen ist für alle Beteiligten, sowohl für Ärzte als auch für Patienten, deutlich schwieriger geworden. Demzufolge haben Menschen mit seltenen und komplizierten Krankheitsbildern heute noch um ein Vielfaches mehr um Diagnose und Therapie zu kämpfen, als dies ohnehin schon der Fall war.

Wie schwierig es sein kann an eine adäquate, sinnvolle medizinische Versorgung zu gelangen, lässt sich beispielhaft am Sjögren-Syndrom erklären, an dem sowohl meine Tochter als auch ich erkrankt sind und welches für sich genommen noch nicht einmal zu den seltenen Erkrankungen, im engeren Sinne, gehört.

Genau genommen zählt das Sjögren-Syndrom sogar eher noch zu den gängigen Krankheitsbildern des rheumatischen Formenkreises und ist somit zumindest jedem Facharzt für Rheumatologie ein geläufiger Begriff.

Weniger bekannt ist jedoch, dass rund 50% aller Sjögren-Patienten seronegativ sind, was bedeutet, dass sie keine spezifischen Antikörper für die Erkrankung im Blut aufweisen. Hinzu kommt, dass die Diagnose-Kriterien, die für das Sjögren-Syndrom deshalb zusätzlich erstellt wurden, nur sehr unzuverlässig sind, da Biopsien, die zum Ziel haben entzündliche Prozesse zu erfassen (wie dies in den Diagnose-Kriterien gefordert wird), nicht zwangsläufig zum Erfolg führen. Eine Diagnose in der Frühphase der Erkrankung ist somit oftmals nicht möglich.

Bereits hieran lässt sich erahnen, wie problematisch es sein kann eine Diagnose zu stellen und wie belastend die Unsicherheit, dies sich daraus ergibt, für die Betroffenen, aber auch für die verantwortlichen Ärzte sein kann.

Erschwerend hinzu kommt, dass das Sjögren-Syndrom vielerorts noch immer als sehr milde Kollagenose gesehen wird, welcher damit auch nur ein sehr geringer Behandlungsbedarf zugeschrieben wird. Übersehen wird hierbei, dass das Sjögren-Syndrom, wie auch alle anderen Kollagenosen, zu schwersten (zum Teil seltenen, schwer zu diagnostizierenden) Organbeteiligungen führen kann, die mitunter auch lebensbedrohlich und damit auch dringend behandlungsbedürftig sein können.

Speziell für das Sjögren-Syndrom entwickelte Medikamente sind derzeit jedoch noch nicht auf dem Markt. Schwere Verlaufsformen der Erkrankung müssen somit mit Medikamenten aus dem „Off-Lable-Bereich“ therapiert werden, was sowohl für Ärzte als auch für Patienten zu massiven Problemen mit den zuständigen Krankenkassen führen kann.

Allein anhand dieser wenigen Beispiele (welche um eine Vielzahl ergänzt werden könnten, was jedoch den Rahmen und mein Anliegen dieses Beitrags sprengen würde) wird deutlich, wie schnell sowohl Ärzte und damit auch ihre Patienten angesichts dieser komplexen Erkrankung in eine Sackgasse geraten können.

Bedenkt man zusätzlich noch die schwierigen Bedingungen im Gesundheitswesen, welche durch Zeitknappheit und massive Überlastung der Ärzte gekennzeichnet sind, so wird schnell deutlich, auf welchem Hintergrund es zu dem unfassbaren Leid kommen kann, welches viele Betroffene, zusätzlich zu ihrer Erkrankung, gezwungen sind zu ertragen.

Weder die Rahmenbedingungen im Gesundheitswesen noch der aktuellen Stand der Forschung kann auf die Schnelle und ohne weiteres verändert werden. Selbst wenn der Wunsch nach Verbesserung noch so brennend ist, sind wir – gleichgültig ob als Ärzte oder aber als Patienten – gezwungen mit den derzeit vorherrschenden Bedingungen in irgendeiner Form zurecht zu kommen.

Eine Freiheit ist uns allen jedoch immer zuteil. Wir alle haben die Freiheit, Ärzte und Patienten gleichermaßen, zu entscheiden wie wir den Umgang miteinander in dieser schwierigen Situation gestalten.

Um es nochmals mit Marschalls Worten zu sagen: Was wäre, wenn wir alle bereit wären unsere Schwäche und Unsicherheit im Umgang miteinander offen zu zeigen. Wenn wir bereit wären die Grenzen der Medizin, unsere eigenen Grenzen, offen zu kommunizieren, ohne die Schuld dafür beim anderen zu suchen?…Es würde bei weitem nicht alle Probleme lösen, aber die medizinische Welt…ja, unsere Welt, wäre definitiv eine vollkommen andere.

Epilog:

Dieser Beitrag ist meiner lieben Freundin S., die ebenso wie ich vom Sjögren-Syndrom betroffen war, gewidmet. Sie hat am 26.11.23 im Rahmen einer freien und bewussten Entscheidung und unter zur Hilfenahme der Sterbehilfeorganisation „Dignitas“ ihr Leben beendet.

Zu groß die erlittenen Schmerzen, zu hoch die Hürden im medizinischen Systems, zu unerträglich die Hoffnungslosigkeit, die sich daraus ergab.

Ich trauere zutiefst um meine Freundin und allein der Gedanke daran, dass ihr Tod durch andere Bedingungen im Gesundheitswesen hätte evtl. verhindert werden können, lässt mein Herz in tausend Stücke zerspringen. Und dennoch kann ich ihre Entscheidung zutiefst nachempfinden, weiß ich doch aus eigener, leidvoller Erfahrung, was es bedeutet mit einer solchen Erkrankung über Jahre hinweg ohne medizinische Hilfe zu bleiben.

Ich wünschte zutiefst, es wäre mir gelungen meiner Freundin in irgendeiner Weise einen Weg aufzuzeigen. Einen Weg der es ihr möglich gemacht hätte, mit dieser Situation zurechtzukommen, ja so lange durchzuhalten bis entsprechende medizinische Hilfe kommt. Aber so groß mein Wunsch auch war ihr zu helfen, so groß war gleichzeitig meine eigene Hilflosigkeit angesichts der fürchterlichen Lage in der sie sich befand.

An dieser Stelle bleibt mir einzig und allein meine eigene Begrenzung als Mensch zu verstehen und sie als mir zugehörig anzunehmen. Und es bleibt mein Versprechen. Mein Versprechen an sie und an mich selbst, dass ich, so gut ich es eben kann, versuchen werde den „Geist eines offenen Herzens“ hinein zu tragen in ein medizinisches System, das aufgrund seiner Komplexität und aus vielerlei anderen Gründen , den Bezug zum Menschen schon lange verloren hat.

Auf diese Weise, so hoffe ich, wird ein Teil ihrer Essenz in mir weiterleben. So lange bis auch ich meine Reise hier auf diesem Planeten beenden werde …….

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