Gastbeiträge
Freitag , der 13.11.20
Mein liebes Tagebuch,
die geplante Lumbalpunktion rückt näher und heute habe ich die Nachricht erhalten, dass mein Mann mich nicht zur Untersuchung begleiten kann. Die steigenden Infektionszahlen lassen das nicht mehr zu, Begleitpersonen sind an der Uni-Klinik nicht mehr erlaubt.
Ich verstehe das….die Sicherheit aller geht vor und trotzdem hat mir die Nachricht zunächst einen ganz schönen Schlag versetzt. Für mich stellt diese Untersuchung unter diesen Bedingungen eine ganz schöne Herausforderung dar, zumal meine kognitiven Leistungen an manchen Tagen einfach noch immer nicht die besten sind und ich an schlechten Tagen (erfahrungsgemäß!!!) ernsthafte Probleme habe, mich in einem riesen Betrieb, wie es die Uni nun mal ist, zurecht zu finden.
Du meine Güte, ich hab ja an manchen Tagen schon mit dem Einkauf zu tun, wie um alles in der Welt soll es da erst an der Uni werden?! Na ja, ich werde es schon irgendwie schaffen und im schlimmsten Fall müssen die eben meinen Mann anrufen und der muss mich dann halt wieder einsammeln….
Ich kann mir ja ein Schild um den Hals hängen, vielleicht mit der Telefonnummer drauf, oder so!!!!!…….Nein Spaß, oder halt eben Galgenhumor.
Aber jetzt mal im Ernst, so schlimm wie ich das in früheren Jahren empfunden hätte, empfinde ich es heute (erfreulicherweise) nicht mehr.
Ja, es gab Zeiten, da war es schlimm. Genau genommen so schlimm, dass es schlimmer wirklich nicht mehr gegangen wäre. Zumindest habe ich das so in Erinnerung. In den Erinnerungen, die sich mir in solchen Situationen aufdrängen, unwillkürlich, ob ich nun will oder auch nicht….
Ich kann mich an eine Situation erinnern, die sich so tief in mein Gedächtnis eingegraben hat, dass ich sie wohl nie wieder vergessen werde.
Es war in der Zeit als ich noch gearbeitet habe und der „Wolf“ noch völlig unbehandelt war. Eigentlich war ich im Krankenstand. Aber wieder einmal eben nur eigentlich, denn aus irgendeinem Grund (die Verwaltung betreffend) wurde ich von meinem damaligen Vorgesetzten gebeten in`s Büro zu kommen, um irgendeine ( vermutlich unsinnige) Unterschrift zu leisten.
Über meinen Gesamtzustand, da decken wir jetzt einfach mal das Mäntelchen des Schweigens. Nur soviel sei gesagt, mein kognitiver Zustand war schlecht….und zwar so schlecht, dass ich nicht mehr in der Lage war mich ordnungsgemäß anzuziehen. Mein Kopf wollte einfach nicht arbeiten. Ohne Witz, ich wusste nicht mehr wie „Anziehen“ geht, welche Kleidungsstücke ich wie an welches Körperteil bringen soll.
Ganz ehrlich, ich kann noch heute die Verzweiflung und die Scham spüren, die ich empfunden habe, als ich damals unter Tränen versucht habe meinem Vorgesetzten zu erklären , dass ich einfach Außerstande bin das Haus zu verlassen und zu kommen…Er hat das zum damaligen Zeitpunkt wohl nicht verstanden, hat wohl geglaubt, dass dies alles psychischer Natur sei und dass ich mit ein bisschen Willenskraft wohl schon noch in der Lage sei, mich in´s Auto zu setzen und in´s Büro zu fahren.
Was für eine Geschichte, ich darf gar nicht mehr darüber nachdenken, denn aus heutiger Sicht war es vollkommen unverantwortlich, dass ich mich an dieser Stelle nicht abgegrenzt habe, dass ich tatsächlich in`s Auto gestiegen und losgefahren bin…
Aber wie bitte hätte ich dieses „Nein“ fertig bringen sollen. Ich war vollkommen verzweifelt und ich hatte Angst, so unfassbar viel Angst….vor der Erkrankung, davor meine Arbeit zu verlieren, vor der Zukunft, davor was mein Körper mit mir veranstaltet, einfach vor allem.
Ich habe keine Ahnung mehr wie ich es schlussendlich doch noch hinbekommen habe aus dem Haus zu gehen. Geschweige denn wie ich es geschafft habe, meinen Arbeitsplatz zu erreichen. Aber ich habe es geschafft, irgendwie………..
Eine genaue Erinnerung an das Gespräch habe ich auch nicht mehr, aber noch immer kann ich die Demütigung spüren. Diese unglaubliche Demütigung angesichts des kompletten Kontrollverlustes, den ich in diesem Moment erlebt habe. Und auch die Demütigung darüber, dass man Vorgesetzter (den ich im Übrigen in vielerlei Hinsicht auch noch heute sehr schätze) mir meinen schlechten Zustand, zum damaligen Zeitpunkt, einfach nicht geglaubt hat .
Aber gestern ist gestern und heute ist heute. Genau genommen habe ich so viele Kränkungen dieser Art erlebt, bin so tief gefallen, dass es tiefer wohl kaum mehr geht. Aber es ist auch so, dass ich irgendwo, ganz tief dort unten, etwas gefunden habe, was mir persönlich kostbarer nicht sein könnte……Mich selbst!!!!!!!!!…..
Und ja, wenn ich es mir recht überlege ist alles okay. Heute ist ein „Nein“ ein „Nein“… Unverrückbar, kompromisslos, wenn es um meine Gesundheit geht. Wenn es darum geht, was ich leisten kann oder eben auch nicht.
Ich bin mir bewusst, dass es mir jederzeit wieder passieren kann, dass meine Erkrankung nicht richtig eingeschätzt werden kann. Dass man meine kognitiven Leistungsfähigkeit viel zu hoch ansiedelt, mich mitleidig belächelt, mich für etwas bekloppt hält. Aber ich merke auch, dass dies nicht mehr dieselbe Bedeutung für mich hat wie früher.
Es ist mir in letzter Konsequenz egal, wie die Leute mich sehen, wie die Ärzte an der Uni mich sehen. Wichtig ist eine exakte Diagnose und die bestmöglichste Behandlung …..
Und das Rituximab wirkt, mein Kopf arbeitet (meistens) einigermaßen gut und ich werde wieder aus der Uni-Klinik heraus finden…..
Und im schlimmsten Fall, ja… da wird mich mein Mann eben wieder aufsammeln. Also, wie gesagt….die Sache mit dem Schild und so……
Tja, so denn ….mir fällt an dieser Stelle nichts mehr weiter ein. Außer vielleicht die Aussage von Margot Käßmann, nach ihrem ganz persönlichen Niedergang: „Man kann nicht tiefer fallen als in Gottes Hand“
Wie recht sie doch hatte, dem lässt sich wohl nichts mehr hinzufügen……