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Administrator (jjsa) on 2.12.2020

ungeliebte Patienten

Evelyn, 02.12.2020, verschieden.me

Inzwischen bin ich Ende zwanzig und lebe seit meinem 15. Lebensjahr mit der Diagnose Long-QT-Syndrom. Die Geschichte, wie ich dazu gekommen bin, ist eine eher unglückliche, da die Erkrankung angeboren ist. Seit ich von meiner Mutter reanimiert wurde und mit einem Spuckeimer ins Krankenhaus gebracht wurde, ist zumindest klar, warum mir manchmal so „schwindlig“ wird.

Wenn ich auf die letzten Jahre zurückblicke, stelle ich fest, dass ich nicht nur allerhand darüber gelernt habe, wie doof ich meine Erkrankung finde, sondern auch weiß, wie viel Unbehagen sie anderen bereitet. Es ist mir nicht nur einmal passiert, dass Diagnosen zurückgezogen und Rezepte in den Mülleimer geworfen wurden, nachdem ich meine Grunderkrankung erwähnt habe. Sobald die Diagnose Long-QT-Syndrom im Raum steht, werden manche Götter in Weiß zu Vögeln in Blau. „Meep Meep“, Dr. Roadrunner hat soeben die Praxis verlassen.

Es gibt allerdings nicht nur Ärzte, die wie ein aufgeschrecktes Reh die eigene Praxis verlassen, sondern auch die, die am Ohr der Vorerkrankung taub sind. Auf die Frage, ob ich die verschriebenen Medikamente denn auch wirklich nehmen darf, bekomme ich ein Zen ähnliches „was soll denn schon passieren?“ zugesummt. Was nach solchen Arztbesuchen beginnt, ist etwas, dass mich stark an den Staffellauf im Sportunterricht erinnert (Ich hasse Staffellauf). Ich bekomme ein Rezept und mache mich auf den Weg zur Apotheke meines Vertrauens. Die nette Dame prüft im Computer nach, ob das Medikament meine ohnehin schon lange QT-Zeit weiter verlängern könnte, meistens ist die Antwort ein klares „Jein“. Damit wird der Stab an meinen Kardiologen weitergereicht. Er empfiehlt mir ein alternatives Präparat, welches ich besser vertragen sollte. Mit dieser neuen Erkenntnis zurück zum ausstellenden Doktor, der immer noch sehr entspannt ein neues Rezept ausstellt. Tapfer gehe ich in den Endspurt und erreiche fiebernd und schweißdurchnässt erneut die Apotheke, in der ich siegessicher mein Rezept auf den Tresen lege und auf die Überreichung des goldenen Blisterstreifens warte. Am gleichen Nachmittag kann ich dann wiederkommen, denn so etwas muss erst bestellt werden.

Die Alternative dazu war, mich zu fühlen als sei ich, eine Drogenkonsumentin auf einem illegalen Underground-Rave. - Wie wird die Pille wirken? Kann ich wunderschöne Farben schmecken oder sinke ich in pulsierenden Kontrollverlust? - Ich finde Überraschungspartys oder Überraschungsbesuche sehr unangenehm. Wieso es jemand erstrebenswert findet, sich von der Wirkung einer Tablette überraschen zu lassen, wird mir jedoch auf ewig ein Rätsel bleiben.

Auch in Krankenhäusern arbeiten nicht alle gleich. Ich durfte sehr bemühte Ärzte und Ärztinnen kennenlernen, die mir das Gefühl gaben, mich zu verstehen und ihr Bestes zu geben. Es gibt aber auch Mediziner, die ich so gerne unter meinen behandelnden Doktoren hätte wie Cruella de Ville als Hundesitterin.

Ich hasse es, mich festzulegen und habe immer gerne Alternativen und Back-ups. Was sich in Beziehungen als schwierig herausgestellt hat, macht sich im Gesundheitssystem durchaus bezahlt. Ich habe mir einen Back-up Kardiologen zugelegt. Wie in der Datingwelt habe ich von Anfang an mit offenen Karten gespielt und ihm mitgeteilt, dass er nicht der Einzige für mich ist und schon ein anderer den Zugang zu meinem Herzen (das ist sehr lustig, weil ich einen ICD implantiert habe, der von meinem „Hauptkardiologen“ ausgelesen wird) besitzt. Anders als bei romantischen Beziehungen ist er mit dem Vorschlag, sich meine Lebensgeschichte anzuhören und dann erst wieder kontaktiert zu werden, wenn meine Nummer eins nicht greifbar ist, ohne Dramen einverstanden gewesen.

Wie viele andere Sportarten habe ich nach ein paar Rückschlägen auch dem Staffellauf abgeschworen. Ich bin auf den Marathon umgestiegen. Mein neuer Hausarzt ist zwar ein bisschen weiter entfernt, dafür sehr interessiert an meiner Erkrankung und äußerst gewissenhaft mit Medikamenten. Bei ihm fühle ich mich so wohl, dass ich gar kein Back-up brauche.

Als Mensch mit einer seltenen Erkrankung wird man gerne wie die berühmte heiße Kartoffel weiter gereicht oder wie ein dreiköpfiger Hund im Zoo bestaunt. Das ist sehr unangenehm, aber teilweise auch verständlich. Der Spieß kann aber auch umgedreht werden. Wenn mich ein Arzt nicht ernst nimmt, stelle ich mir vor, ich bin in einer amerikanischen Datingshow und schreie ganz laut: „NEXT“, als wollte mich Owen Wilson für ein romantisches Kerzendinner abholen.

Wie in jeder Beziehung muss man auch in dieser Kompromisse eingehen. Die Wahrscheinlichkeit, dass Mc Dreamy zufälligerweise der kompetenteste Arzt im betreffenden Spezialgebiet ist und in seiner Freizeit Zusatzkompetenzen als klinischer Psychologe erworben hat, ist sehr gering. Wenn ihr euch gut beraten und behandelt fühlt, sollte alles andere auch Nebensache sein. Wenn die Persönlichkeit eures Arztes die Angst vor Spritzen, Testergebnissen oder Untersuchungen so negativ überschattet, dass ihr schon die Nacht davor Albträume habt, ist es vielleicht an der Zeit, diese Beziehung zu überdenken.

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