Gastbeiträge
Nachdem die französische Initiative zum Thema „Seltene Erkrankungen“ von der EU übernommen wurde, rückten die „Stiefkinder der Medizin“, auch in Deutschland im Jahr 2010 in den Focus der Politik. Im Jahr 2013 wurde NAMSE dann endlich offiziell verabschiedet.
Einen Vergleich zu ziehen, zwischen dem jeweiligen Vorgehen in Frankreich und dem in Deutschland, stellt eine recht interessante Beschäftigung dar.
Die Lektüre der Pläne (Frankreich hat bereits den dritten verabschiedet, Deutschland führt nur den ersten in abgewandelte Form weiter) zeigt große Unterschiede in den Verfahren. Das Lesen der französischen Pläne erweckt den Eindruck, dass eine Praxisgerechte Analyse der anstehenden Probleme vorgenommen wird und Wege diese zu eliminieren festgelegt werden. Manche Themen, an die in Deutschland im Jahr 2013 überhaupt noch nicht gedacht wurde, waren bereits 2005 im Visier der französischen Bemühungen. So wurde beispielsweise bereits im 1. französischen Plan auf die immensen Reisewege zu den oftmals in weiter Entfernung gelegenen Zentren für seltene Erkrankungen, sowie auf die hieraus resultierenden Kosten für die Betroffenen hingewiesen.
In Deutschland scheint die Effektivität, durch eine weitgehend akademische Vorgehensweise, sehr gering zu sein. Als Beispiel wäre hier die DENIES Studie (siehe Link unten) anzuführen, die 2015 abgeschlossen wurde. Diese Studie sollte wissenschaftlich sein, wenn man sich jedoch die Prozent Angaben und die „Standard Deviation“ anschaut, scheint es lediglich in der ersten Annäherung so zu sein.
Unglücklicherweise ist die Anzahl an einbezogenen Patienten (35), Hausärzte (35) und Fachärzte (nur 10) zu gering, um eine wirklich wissenschaftlich fundierte Aussage zu treffen. Dennoch sind einige Erkenntnisse vorhanden, Erkenntnisse die jedoch nicht unbedingt für eines der besten Gesundheitssystemen der Welt plädieren.
Eine pragmatische und wirklich Patienten-zentrierte Vorgehensweise ist bei NAMSE nicht zu erkennen, siehe auch Schlussbericht WB-NAPSE. In diesem Bericht werden, als Belange der Patienten, lediglich die Aktivitäten im Bereich der Selbsthilfe und die Transparenz des MDK erwähnt. Wirklich Patienten-zentriert ist dies nicht. Die Ortsnahe Betreuung, sofern möglich, ist immer noch nicht implementiert. Bei extrem seltenen Erkrankungen sind weltweit möglicherweise nur sehr wenige Spezialisten zu finden. Dies bedeutet sehr lange Reisewege und zusätzliche Belastungen für die Betroffenen.
Im Bereich der Diagnosefindung ist bislang wenig (Stand 2017) erledigt, für 2020 dürfte es wohl auch nicht viel besser aussehen. Schon bei gewöhnlichen Erkrankungen kommt es immer wieder zu Fehldiagnosen. Bei seltenen Erkrankungen, die eine komplexe oder uneindeutige Symptomatik aufweisen, dauern Irrwege noch länger. Der Weg zur Diagnose sollte an der Basis beginnen, der Hausarzt oder der niedergelassene Facharzt ist wichtig, wird aber nicht bzw. stiefmütterlich berücksichtigt.
Auch in Bezug auf die postdiagnostische Behandlung ist im Plan wenig zu finden, dies wird auch so von WB-NAPSE gesehen. Ein weiterer Aspekt der nicht bedacht wurde, ist die Ortsnahe Behandlung bei komplexen, Fachübergreifenden Erkrankungen. Einen Hauptverantwortlichen zu finden dürfte sich als sehr schwierig erweisen. Die Kosten werden nicht abgedeckt und die Zuständigkeit wird in der Praxis immer wieder von einer auf die andere Fachrichtung verschoben.
NAMSE konnte nicht vollständig implementiert werden, die Weiterführung in abgeänderte Form soll gemäß des NAMSE Statusbericht von 2019 erfolgen. Die Lektüre erweckt jedoch nicht unbedingt den Eindruck, dass eine Praxis -und Patienten orientierte Vorgehensweise angestrebt wird. Vieles scheint wiederum sehr akademisch zu sein. Unter https://www.cherh.de kann leicht ersehen werden, dass so etwas eine grundsätzliche Vorgehensweise ist.
Erkenntnisse aus anderen Ländern werden nicht einfach übernommen, in Deutschland muss geforscht werden, damit sichergestellt ist, dass die gewonnenen Erkenntnisse aus zuverlässigen (deutschen) Händen stammen.
Die Transparenz ist bei der deutschen Vorgehensweise nicht gegeben. Bei der Lektüre des 1. und des 3. nationalen Plans aus Frankreich, wird die Aufführung der Kosten ersichtlich. Frankreich gibt für den 3. Plan mehr als 151 Millionen pro Jahr aus. Dazu gesellen sich zusätzliche Kosten, die von den Krankenkassen zu tragen sind. Für Deutschland konnte ich keine Zahlen finden. Wenn etwas zu finden ist, geht es ausschließlich um die Bezahlbarkeit. Konkrete Angaben über die Kostenhöhe werden nicht gemacht.
Auch wenn die jeweiligen Pläne aus Frankreich nicht gänzlich erreicht wurden, ist eine Zielgerichtete Vorgehensweise zu erkennen. Dagegen erscheint NAMSE, mit Blick auf die Recherchen, eher ein Feigenblatt als ein echter Plan zu sein. Eine Kontinuität ist nicht wirklich zu erkennen, siehe auch Petition von 2018 (Link unten).
Die Bundesregierung scheint sich nicht wirklich mit seltenen Erkrankungen zu befassen (siehe auch der Antwort auf der „kleine Anfrage vom 12.03.2020“). Erkenntnisse liegen der Regierung meistens nicht vor, also ist das Thema unwichtig.
Referenzen:
Plan national maladies rares 2005-2008 :
https://www.maladiesraresinfo.org/assets/pdf/plan_maladies_rares_2005_2008.pdf
Plan national maladies rares 2011-2014 :
https://www.maladiesraresinfo.org/assets/pdf/Plan_national_maladies_rares_11_02_28.pdf
Plan national maladies rares 2015-2019 :
https://solidarites-sante.gouv.fr/IMG/pdf/plan_national_maladies_rares_2018-2022.pdf
Namse :
https://www.namse.de/fileadmin/user_upload/downloads/Nationaler_Aktionsplan.pdf
DENIES Abschlussbericht :
https://www.bundesgesundheitsministerium.de/fileadmin/Dateien/5_Publikationen/Gesundheit/Berichte/Abschlussbericht_DENIES.pdf
Petition zur Erhalt von NAMSE :
https://www.achse-online.de/de/Aktuelles/2018/20180308_Wir_brauchen_NAMSE_-_Unterzeichnen_Sie_unsere_Peti.php
Antwort zur kleine Anfrage vom 30.08.2018
http://dip21.bundestag.de/dip21/btd/19/043/1904384.pdf
Statusbericht 2019 :
https://www.namse.de/fileadmin/user_upload/NAMSE_Statusbericht_2019.pdf
Stellungsnahme :
https://www.aerztezeitung.de/Medizin/Es-hakt-bei-der-Umsetzung-des-NAMSE-Aktionsplans-24784.html
WB-NAPSE; Schlussbericht wissenschaftliche Begleitung des Nationalen Aktionsplans für Menschen mit Seltenen Erkrankungen (2017):
http://publica.fraunhofer.de/eprints/urn_nbn_de_0011-n-5436188.pdf
Kleine Anfrage vom 12.03.2020 :
https://dip21.bundestag.de/dip21/btd/19/178/1917849.pd