Gastbeiträge
Als Nachsatz zum Tag der seltenen Erkrankungen mal ein paar Worte. Ein paar mehr Worte.
Was soll man tun, wenn einem die Behandlung verweigert wird?
Ich hatte einen Notfalltermin in einer Spezialklinik für Motilitätsstörungen (zumindest hat diese Klinik lange behauptet, auf intestinale Motilitätsstörungen spezialisiert zu sein). Ich habe Dysganglionose: die Nerven in meinem Verdauungssystem sind unregelmäßig verteilt, und dadurch arbeitet mein Verdauungssystem nicht zuverlässig: Nahrung, Ausscheidungen und Gase werden nur sehr langsam transportiert oder stauen sich. Ich habe jeden Tag starke Schmerzen, ich kann die meisten Lebensmittel nicht mehr essen, mir ist jeden Tag übel und ich erbreche immer wieder Galle. Außerdem hatte ich mehrere Magenblutungen.
Ich war schon mehrmals in dieser Spezialklinik. Vorher hatte ich einige Fehldiagnosen, aber in dieser Klinik wurde letztendlich die korrekte Diagnose gestellt.
Da die Erkrankung sich weiter verschlechtert hat und die Funktion meines gesamten Verdauungssystems immer schlechter wurde, hatte ich zunehmend starke Schmerzen und mir wurde angeraten, eine Ärztin für Schmerzmedizin aufzusuchen, was ich auch getan habe. Diese Ärztin hat einiges versucht und mir letztendlich ein Opioidpflaster verschrieben, ein starkes Schmerzpflaster, was auch einigermaßen hilft. Bei meinem Termin in der Klinik sollte ich nun alle Medikamente, die ich zur Zeit einnehme, auflisten. Da kam natürlich auch das Opioidpflaster zur Sprache. Und - unglaublich - da verweigerte diese Klinik die Behandlung. Diese Art von Schmerzmittel sei nicht erwünscht. Es gebe für mich keine Behandlung, sagten sie. Auch eine Gastroskopie wollten sie nicht machen, obwohl ich mehrere Magenblutungen hatte. Mein BMI ist sehr niedrig, ich habe Kachexie (Muskel- und Fettgewebe sind bei mir auf ein Minimum reduziert). Dennoch schrieben die beiden Klinikärzte in ihren Bericht, mein körperlicher Zustand sei stabil, es gebe keine Veranlassung zu einer stationären Aufnahme. Im letzten Jahr hatte ein Arzt derselben Klinik bereits vorgeschlagen, dass ich künstliche Ernährung bekomme, aber jetzt, wo es mir wirklich mies geht, sind die Kollegen der Ansicht, dies sei nicht notwendig (schreiben das sogar in den Arztbrief).
Ich würde mich freuen, wenn es mir wirklich so gut ginge.
Selbstverständlich möchte niemand hören, wie es ist, mit dieser Krankheit zu leben. Also tun viele Menschen - nicht zuletzt Ärzte - als wäre mein Leben noch lebenswert. Sobald ich auf negative Aspekte zu sprechen komme, hören sie einfach weg. Diese Krankheit beeinträchtig mein gesamtes Leben und sie wird nicht besser, sondern schlechter.
Es ist absurd zu glauben, dass ich lediglich eine negative Einstellung habe - dennoch gab es Zeiten, da wurde mir gesagt, ich würde dramatisieren und noch heute gibt es Menschen - auch Ärzte - die gerne glauben, meine Krankheit wäre ein psychisches Problem. Auch, weil sie keine Ahnung haben, was man tun kann.
Ich kenne keine anderen Menschen mit meiner Erkrankung - zumindest nicht außerhalb des Internets.
Die Ärzte sind nicht daran interessiert, Antworten zu finden. Mit den Jahren wurde ich zu einer medizinischen Expertin. Mir kam zugute, dass ich mich sehr für Medizin interessiere. Aber „böse Zungen“ behaupten, ich sei „besessen“ von meiner Krankheit, ich wolle nicht gesund sein. Als würde es mir Spaß machen, dass mir jeden Tag übel ist, dass ich jeden Tag Schmerzen habe, die kaum auf Medikamente reagieren.
Ich kann nicht einfach essen, was ich will. Ich kann mich nicht einfach satt essen, wenn ich hungrig bin. An manchen Tagen sammelt sich alles, was ich esse, nur in meinem Verdauungssystem an und wird nicht weiter transportiert. Ein weiteres Problem sind die Folgeerkrankungen, unter denen ich inzwischen leide, z.B. die verminderte Knochendichte.
Ich habe auch schon zu hören bekommen, es sei meine Schuld, ich würde nicht „genug auf mich achten“. Gerne wird auch behauptet, ich sei psychisch krank, denn ich habe eine Form von Autismus (Autismus ist keine psychische Erkrankung….aber das ist ein anderes Thema).
Im Universitätsklinikum schrieb man mir sogar in einen Entlassungsbericht, dass Patienten mit Autismus oft „gastrointestinale Beschwerden“ (!) hätten. Aha, also ist es normal, was ich verspüre, wenn ich überhaupt „wirklich“ was spüre und nicht „somatisiere“, ja, so weit ging es, dass mir suggeriert wurde, meine Schmerzen seien gar nicht wirklich da. Und das, obwohl handfeste Untersuchungsergebnisse vorlagen.
Ich habe keine „gastrointestinalen Beschwerden“, sondern eine seltene Erkrankung. Das ist keine Magen-Darm Grippe. Die wenigen Medikamente, die es gibt, habe ich alle probiert: erfolglos. Oft musste ich sie selbst bezahlen. Einige dieser Medikamente waren in Deutschland nicht erhältlich. Sie wurden mir trotzdem empfohlen (ja, empfohlen, nicht verschrieben) und ich konnte gucken, wie ich sie auftreibe. Wenn die Medikamente nicht wirkten, dann wurde mir vorgeworfen, ich hätte sie wahrscheinlich „falsch“ dosiert. Zu viel, zu wenig, zu kurz....und wenn ich sie mal wieder alle durchprobiert hatte, sollte ich wieder von vorne anfangen, als würde ein unwirksames Medikament beim zweiten oder dritten Versuch plötzlich wirken.
Ich könnte lange Geschichten erzählen von Unikliniken, die drei mal meine Unterlagen verlieren, Ärzten, die für mich plötzlich nicht mehr zu sprechen sind, und Psychiaterinnen, die in mein Krankenhauszimmer geschickt werden, und dort ganz hilflos vor mir sitzen, weil sie nicht wissen, was sie mit jemandem mit meiner seltenen, körperlichen (!) Erkrankung denn nun anfangen sollen….
Ist das, was mir widerfährt, ein deutsches Problem? Warum gibt es dann nur einen englischen Ausdruck dafür, nämlich „medical gaslighting“ ? Symptome, Befunde und wie man mit mir umgeht: all das wird von Ärzten so lange als nicht real bezeichnet, bis ich selbst anfange zu glauben, dass vielleicht alles gar nicht wahr ist.
Unser Gesundheitssystem ist gut, eigentlich; aber manche Erkrankungen - darunter auch meine - sind darin nicht vorgesehen. Es fällt mir wirklich schwer, das nicht persönlich zu nehmen und nicht zu glauben: ICH bin nicht vorgesehen.
Was soll ich denn bitte davon halten, wenn ich keinen Hausarzt finde, wenn mir ernsthaft gesagt wird: „Es tut mir leid, Sie sind zu aufwändig, da müsste ich mich jetzt richtig reinknien, da müsste ich Sie schon länger kennen, das ist mir alles zu kompliziert bei Ihnen, haben Sie bitte Verständnis“.
Und erzählen kann ich es doch eigentlich auch niemandem, denn es besteht immer die Gefahr, dass mir nicht geglaubt wird, alles „ ein großes Missverständnis“ und ich solle nicht dauernd meckern. Oder ich bin der bedauerliche Einzelfall und hatte einfach Pech. Oder man stimmt mir zu: ja, unser Gesundheitssystem benachteilige manche Menschen, aber dafür könne man nichts (wer immer „man“ gerade ist). Ich müsste einfach eine positive Einstellung finden. Dann wünscht man mir alles Gute, und tschüss.